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Geschichten von der Straße.

Als Briefträger arbeite ich auf der Straße. Was man dort alles erlebt möchte man gar nicht glauben.
Ein Beispiel:
Da ich bei einer privaten Firma arbeite habe ich das Privileg mein Rad selbst kaufen zu dürfen. Also beschloss ich ein bis zwei Monatsgehälter, immerhin 250 Euro, in ein neues Bike zu investieren.
Ich ging zu meinem altbewährten Radhändler und orderte ein solides Damenrad. Bis zum nächsten Morgen sollte noch ein Fahrradkorb befestigt werden und das Gerät fahrtüchtig gemacht werden.
Und tatsächlich: Pünktlich auf die Minute erwartete mich meine neue Errungenschaft. Der Fahrradkorb glänzte im Morgenlicht. Auf meinen Einwand der Sattel hinge mir aber zwischen den Knien versprach mir der Chef und einzige Mitarbeiter bis morgen hatte er eine höhere Sattelstütze besorgt und ich solle ihm das alte Rad gleich hier lassen, er würde es sofort zum Recyclinghof fahren.
Frohgemut begann ich meine tägliche Arbeit.
Sehr schnell fiel mir ein merkwürdiges Fahrverhalten auf. Noch schneller konnte ich eruieren dass es vermutlich von den nicht aufgepumpten Reifen her stammte. Aber selbst eine kaputte Gangschaltung kann einen Briefträger nicht an seiner Pflicht hindern. Erst als ich bemerkte das an den Pedalen die Rückstrahler fehlten wendete ich. So etwas kann schließlich teuer werden, gerade für die Werkstatt.
Mein fleißiger Handwerker hatte mein altes Rad inzwischen vollständig recycelt. Nur noch der nackte Rahmen glänzte in der Morgensonne.
Kleinere Mängel, wie die leeren Reifen, konnte der Meister Gott sei dank gleich beseitigen, für die Sattelstütze war jetzt plötzlich eine mehrwöchige Wartezeit erforderlich. Schließlich muss so ein Teil richtig vermessen und bestellt werden.
Aber auch das hindert einen echten Briefträger nicht an seiner Pflicht!
Ein Platten jedoch schon. Dem ersten folgten weitere. Erst nach langem fachsimpeln konnte ich meinen gelernten Mechaniker überzeugen dass vermutlich Metallspäne in der Felge schuld sind.
Problem erkannt, Problem gebannt. Es wurde inzwischen dunkel aber ein Briefträger tut seine Pflicht. Ich schaltete das Licht ein und fuhr leicht gereizt weiter.
Nach zirka 500 Metern stoppte mich eine Polizeistreife. "Was los, Jungs?" fragte ich. "Ihr Rücklicht ist defekt. Das Rad muss in die Werkstatt." war die Antwort. "Allerdings! Und zwar stehenden Pedales!" gab ich den Wachtmeistern lautstark recht und trat sofort in die Eisen.
" Halt! Wo wollen Sie denn hin?"
"Na in die Werkstatt, du Depp!"
Der grüne Wagen versuchte noch die Straße zu blockieren, ich konnte aber auf den Gehweg ausweichen. Anschließend raste ich die Wiese runter und diagonal über eine Kreuzung samt Fußgängerinsel. Hierbei nötigte ich einen Motorradclub versehentlich zum Bremsen.
"Schau mal, hast du Augen?" wurde ich angeschnauzt.
"Absolut! Und Seitenreflektoren auch. Schau selber!"
"Nee, DU hast keine Seitenreflektoren."
Diese Worte wirkten auf mich wie Nitroglyzerin auf einen rotglühenden Porschemotor.
"Ey Alter, ICH hab keine Seitenreflektoren ??!!!??"
Auf Anhieb schaffte ich die zwei Treppenstufen am Eingang und fuhr direkt bis zur Theke vor. Mit großen Augen sah mich der Besitzer an und fragte: "Was ist den nun schon wieder? Ich habe Feierabend."
Als der Club vorfuhr und plötzlich Motorradfahrer seinen Fahrradladen stürmten fragte er sehr erstaunt: "Und was ist jetzt los?"
Aber als mit gellendem Martinshorn das Überfallkommando folgte fielen ihm nur noch zwei Worte ein: "Oh, Scheiße!"
Um mich nicht dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung auszusetzen möchte ich die folgenden Szenen verschweigen. Positiv anzumerken bleibt dass der Service dieser Werkstatt danach viel besser wurde.
 
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